NachgetragenBlog von Joachim Guilliard
Der Fall von Tripolis
NATO-Bomben, Elitetruppen und Propaganda – die NATO-Offensive gegen Tripolis
(erschien gekürzt und redaktionell überarbeitet in junge Welt, 30.08.2011 ergänzt durch Randspalte Kaum Jubel für die »Befreier« und Kommentar. -- zum Drucken hier als PDF-Dokument)
Der letzte Akt des Aggressionskrieges gegen Libyen scheint nun begonnen zu haben. Von einem „Sieg der Rebellen“ oder gar einem „Sturz des Diktators durch das eigene Volk“ wie die taz gleich frohlockte,[1] kann keine Rede sein. Es war im Kern eine NATO-Offensive, die der Anti-Gaddafi-Koalition den Weg nach Tripolis ebnete. Während außerhalb Europas und Nordamerikas die verheerenden Sturmangriffe auf Tripolis und andere Städte klar als imperiales Verbrechen verurteilt wurden, ging die Komplizenschaft westlicher und arabischer Medien über das bisherige Maß hinaus, sie wurden Teil der massiven psychologischen Kriegführung. Unabhängig davon wie weit sich die Kriegsallianz durchsetzt, ist der Krieg noch lange nicht zu Ende. Die kriegführenden NATO-Mächte bereiten nun offensichtlich den Einsatz regulärer Bodentruppen vor.
(erschien gekürzt und redaktionell überarbeitet in junge Welt, 30.08.2011 ergänzt durch Randspalte Kaum Jubel für die »Befreier« und Kommentar. -- zum Drucken hier als PDF-Dokument)
Der letzte Akt des Aggressionskrieges gegen Libyen scheint nun begonnen zu haben. Von einem „Sieg der Rebellen“ oder gar einem „Sturz des Diktators durch das eigene Volk“ wie die taz gleich frohlockte,[1] kann keine Rede sein. Es war im Kern eine NATO-Offensive, die der Anti-Gaddafi-Koalition den Weg nach Tripolis ebnete. Während außerhalb Europas und Nordamerikas die verheerenden Sturmangriffe auf Tripolis und andere Städte klar als imperiales Verbrechen verurteilt wurden, ging die Komplizenschaft westlicher und arabischer Medien über das bisherige Maß hinaus, sie wurden Teil der massiven psychologischen Kriegführung. Unabhängig davon wie weit sich die Kriegsallianz durchsetzt, ist der Krieg noch lange nicht zu Ende. Die kriegführenden NATO-Mächte bereiten nun offensichtlich den Einsatz regulärer Bodentruppen vor.
Anfang August war das Image der libyschen Aufständischen auch im Westen stark ramponiert. „Gebeutelt durch innere Kämpfe“ und „unterminiert durch das rücksichtslose und undisziplinierte Verhalten ihrer Milizen“ scheine der Aufstand gegen Oberst Gaddafi in einen trüben Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Fraktionen und Stämmen überzugehen, schrieb noch am 13.8. die New York Times.
In der Tat schien der Krieg sich zunehmend zu Ungunsten der NATO zu entwickeln. Verteidigungsminister Gérard Longuet sprach im französischen Fernsehen sogar schon von einem Scheitern der militärischen Operation.[2] Auch sein britischer Kollege bezweifelte offen, dass die Rebellen aus eigener Kraft die Hauptstadt einnehmen könnten. Sie setzten seit langem vorwiegend darauf, durch das Aushungern und das Dauerbombardement die Bewohner Tripolis zum Aufstand zu bewegen[3] oder einen „Palast-Coup“ gegen Gaddafi zu erreichen. (siehe hierzu meinen vor der Offensive fertiggestellten Artikel in Hintergrund 3/2011)
Als im Juli mehrfach Hunderttausende in Großdemonstrationen gegen die NATO und ihre lokalen Verbündeten demonstrierten, begruben sie offensichtlich diese Hoffnung und schalteten auf Plan B um, d.h. sie beschlossen die Sache nun auch am Boden selbst in die Hand zu nehmen und einen eigenen „Aufstand in Tripolis“ zu inszenieren.
Mit dem Beginn des islamischen Fastenmonats begann die Kriegsallianz eine für alle Beobachter überraschende Offensive. Innerhalb weniger Tage gelang Rebellenmilizen und aufständischen Stammeskämpfer das Vordringen in strategisch wichtige Städte rund um die Hauptstadt. Die Versorgungslinien nach Tripolis, wo die Versorgungslage ohnehin schon dramatisch schlecht war, wurden weitgehend unterbrochen. Überraschend schnell gelang es schließlich den Aufständischen am 21. August in Tripolis einzudringen.
Auschlaggebend für diese Erfolge war jedoch nicht ein plötzliches Erstarken der Rebellen, sondern die Intensivierung und Ausweitung des NATO-Krieges. Die acht kriegführenden NATO-Mächte verstärkten ihre Luftangriffe und konzentrierten sie auf die Vormarschroute der Rebellenverbände. Sukzessive bombten sie diesen so den Weg frei – sie „weichten“ die Angriffsziele für die Rebellen „auf“, wie es Derek Flood vom US-Think Tank Jamestown Foundation bezeichnet.[4] Ein solches „Aufweichen“ durch flächendeckende Bombardierung kostete allein in dem Dorf Majer, nahe der umkämpften Stadt Sliten über 80 Männer, Frauen und das Leben. [5]
Beim Vorrücken in die Städte griffen dann Kampfhubschrauber mit ihrer ungeheuren Feuerkraft direkt in die Bodenkämpfe ein. (Deren Einsätze werden i.d.R. nicht als Luftwaffeneinsätze gezählt, sind also in der Zahl von bis dato 20.000 Einsätzen und 7.500 Luftangriffen nicht enthalten.( Stop NATO, Updates on Libyan war, August 22,2011)
Wie schon in den fünf Monaten zuvor, bestand die Hauptaufgabe der Rebellenmilizen darin, durch ihr Vorrücken die Verteidiger zu einer Reaktion zu zwingen. Sobald diese begannen, sich den Angreifern entgegenzustellen, wurden sie von Kampfjets und Hubschrauber unter Feuer genommen. Man wird wohl nie erfahren, wie viel tausend, praktisch wehrlose Verteidiger der libyschen Souveränität dabei massakriert wurden – viele als sie bereits auf dem Rückzug waren. So versenkten NATO-Jets mehrfach Boote, auf denen libysche Soldaten aus unhaltbar gewordenen Stellungen zu entkommen suchten.[6] Dass regierungstreue Kräfte trotzdem fünf Monate lang die Verteidigungslinien halten konnten, zeugt von bemerkenswertem Mut und Entschlossenheit weiter Teile der Bevölkerung, das bisherige Gesellschaftsystem zu verteidigen. Sie wussten sehr gut, was für das Land auf dem Spiel steht.
Eine Gruppe Reporter der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua konnten sich von Tunesien bis Tripolis durchschlagen und dabei die jüngsten Zerstörungen besichtigten. Von Zawiya, einer der lang umkämpften, strategisch wichtigen Städte nahe Tripolis, war demnach nicht viel übrig geblieben. Alle Gebäude entlang der Straße waren zerbombt und ausgebrannt, die Mauern übersät mit Einschusslöchern. Eine ganze Reihe von Gebäudekomplexen war völlig dem Erdboden gleichgemacht. Auch in Tripolis sahen sie umfangreiche Verwüstungen durch NATO-Bomben an den Einfallstraßen.[7]
„Boots on the Ground“
Die Angriffe aus der Luft allein hätten die Wende nicht bewirkt. Spezialeinheiten der NATO-Mächte übernahmen auch am Boden die führende Rolle. Der israelische Militärinformationsdienst DebkaFile's berichtete als erster, dass an der Spitze der Sturmangriffe auf Tripolis britische, französische, jordanische und katarische Elitetruppen standen. Großbritannien setzte demnach Kommandos des Special Air Service (SAS) ein, Frankreich „2REP“-Fallschirmjäger-Einheiten und Jordanien die „Königlichen Spezialkräfte“, die auf Straßenkämpfe und Angriffe auf befestigte Stellungen, wie Gaddafis Militär-Komplex spezialisiert seien. Angaben von DebkaFile sind aufgrund seiner Nähe zu israelischen Geheimdiensten mit Vorschicht zu genießen, sie wurden jedoch bald von der US Nachrichtenagentur AP und britischen Zeitungen und der New York Times[8] bestätigt.
DebkaFile hat zudem den Überraschungsangriff schon Anfang Juli vorhergesagt. Die NATO-Mächte wären dabei, ihre Planungen für eine großangelegte, umfassende Militäroffensive zum Sturz Gaddafis abzuschließen. Diese würde in einigen Wochen beginnen, angeführt von französischen und britischen Truppen, denen US-amerikanische nachfolgen würden.[9]
Das deckt sich durchaus mit den Erkenntnissen von AP, die am 23.8. meldete, es sei „ein offenes Geheimnis“, dass ab dem Moment, „als in den Kämpfen in Libyen ein Patt drohte, die Rebellen von verdeckt im Lande operierenden ausländischen Militärberatern angeleitet wurden.“ Diese „wiesen auch die NATO-Flugzeuge ein, die Regierungstruppen bombardierten“.
Der Einsatz ihrer „Instrukteure“ zielte nicht nur auf die Erhöhung der Schlagkraft, sondern wie US-Offizielle andeuten, auch der politischen Kontrolle. Die plötzliche „Verbesserung der Operationsfähigkeit“ und „Koordination der Kampftätigkeit“ der Rebellen-Milizen ließe sich nach Ansicht von Militärexperten ohne Beteiligung ausländischer Bodentruppen auch gar nicht erklären.
Mit dem zunehmendem Einsatz von bewaffneten US-Predator- Kampfdrohnen sei der Weg für die vorrückenden Rebellen freigeräumt worden. Die Killer-Drohnen konnten auch in Stadtnähe „Präzisionsschläge“ durchführen und so den Rebellen einen raschen Vormarsch durch Zawiya auf Tripolis ermöglichen. Im AP-Bericht heißt es weiter:
Voll patriotischem Stolz hatte der Telegraph zwei Tage zuvor schon die geheime, führende britische Rolle bei dem Sturm auf Tripolis gepriesen. MI6-Agenten hätten die Pläne mit der Rebellenführung in Bengasi ausgearbeitet, 1000 Kampfausrüstungs-Sets mit Telekommunikationsgeräte, schusssicheren Westen und Nachtsichtgeräten seien verteilt worden. Britische Tornado-Jets hätten schließlich den „Aufstand“ durch die Ausschaltung von zentralen Kommunikationseinrichtungen und Verteidigungsstellungen der Hauptstadt eingeleitet.[13]
Im Grunde, so Cahal Milmo und Kim Sengupta vom Independent, ist bereits seit sechs Monaten eine stille, von London gesponserte Bodenoffensive im Gange, an der eine Armee von Diplomaten, Spionen, Militärinstrukteure und ehemaligen Mitgliedern von Spezialeinheiten beteiligt ist. Schon früh sei man zur Auffassung gelangt, so ein britischer Diplomat, dass man Gaddafi nur besiegen könne, wenn man neben dem Luftkrieg auch „praktische Maßnahmen am Boden“ ergreife. Es gehe „nicht um Legionen von SAS-Leuten“, sondern darum „Erfahrung zu vermitteln“ und „Anderen“ ermöglichen, „hilfreich“ zu sein.
Mit den “Anderen” sind Gruppen ehemaliger Elitesoldaten gemeint, die nun im Dienst privater Sicherheits- bzw. Militärdienste stehen, die – so Milmo und Sengupta – regelmäßig an der Spitze, der sich Richtung Tripoli durchkämpfenden Rebellen gesehen wurden. Nach „Frustration bis hin zu Verachtung über den Mob-Charakter eines Großteils der Rebellenarmee“ haben die Briten und ihre Alliierten den Übergangsrat angewiesen, mit Geldern der Kriegsallianz ehemalige britische Soldaten als Söldner einzukaufen. [14]
Während der französische Außenminister Alain Juppe die Beteiligung von französischen „Instrukteuren“ grundsätzlich bestätigte, bestreitet die britische Regierung dies offiziell immer noch. Dabei hatte Al-Jazeera schon im Mai Bilder europäischer Soldaten in Libyen gezeigt und hatten britische Zeitungen berichtet, dass vom aktiven Dienst freigestellte britische Elitesoldaten über private Söldnerfirmen in Libyen eingesetzt würden.[15]Der britische Daily Mirror veröffentlichte im Juni Bilder, die SAS-Soldaten und britische Fallschirmjäger in Mitten libyscher Rebellen zeigen.[16]
Schließlich gab nun ein Sprecher des Weißen Hauses bekannt, dass auch CIA-Agenten an den Operationen beteiligt sind und nun bei der, zu Hause so populären Jagd auf Gaddafi dabei sind.[17]
Der russische General und Experte für internationale Sicherheit Gennady Yevstafyev vermutet noch einen weiteren Grund hinter den plötzlichen Fortschritten der Kriegsallianz:
Die USA, die westlichen Ländern operieren nicht nur mit militärischer Macht, sondern vielmehr indem sie zentrale Personen des Regimes gegen das sie Krieg führen kaufen. ...
Ich bin überzeugt, dass in diesem speziellen Fall ungeheure Geldsummen in die Operationen der letzten Wochen gesteckt wurden, durch die es ihnen gelang , äußerst wichtige Leute aus Gaddafis Militärführung zu kaufen.[17a]
Inszenierter Aufstand
Auch aus Libyern zusammengesetzte Spezialkräfte, die in den letzten Monaten von der NATO aufgebaut und trainiert wurden, dürften zu den Erfolgen beigetragen haben. Nachdem der Aufstand in Tripolis ausblieb, wurde eine größere Zahl von ihnen, zusammen mit erheblichen Mengen an Waffen und Ausrüstung sukzessive nach Tripolis geschmuggelt, wo sie bewaffnete „Schläferzellen“ bildeten.[18] (Die hohe Zahl von „15.000 Kämpfer im Untergrund“, die die Rebellenführung der FAZ verraten hat, darf man allerdings getrost unter der üblichen Propaganda abheften. [19])
Diese erhielten ihr Signal zum Losschlagen nach Aussagen eines Sprechers des Übergangsrates über Libya TV, einen in Katar stationierten Satelliten-Sender der Rebellen.[20]
Diese Elitetrupps stürmten darauf hin u.a. die Ben Nabi Moschee im Zentrum von Tripolis und kündigten über Lautsprecher die Übernahme der Stadt an. Indem sie koordiniert an wichtigen Stellen zuschlugen, konnten sie rasch den Eindruck vermitteln, die Hauptstadt wäre in kurzer Zeit in die Hände der Rebellen gefallen.
Von einem „Aufstand“ in Tripolis kann demnach nicht gesprochen worden, es war eine erfolgreiche Überrumpelung des Gegner, die durch die überlegenen Mittel der Angreifer die Schwächung der Verteidiger durch fünfmonatige Bombardierung ermöglicht wurde. Im Kern handelt es sich um nichts anders, als um eine, von Eingeborentruppen unterstützte Bodenoffensive der NATO.
„Imperialer Wahnsinn“
Pepe Escobar faßte das Szenario unter dem Titel „Willkommen in Libyens »Demokratie«“ treffend zusammen:
Die NATO und ihre Verbündeten „sind dabei das Land vor den Augen der Welt zu zerstören und in Stücke zu hacken“ so Hugo Chavez am Mittwoch. „Sie haben das Land auseinander gerissen und es war nicht Gaddafi der dies tat. Sie haben das Land in Flammen gesetzt und es war nicht Gaddafi der dies tat – nein es war der imperiale Wahnsinn und die globale kapitalistische Krise die es tat.“ [22]
Propaganda-Krieg
Eine Hauptfront beim Angriff war offensichtlich die Propagandafront. Völlig übertriebene oder erfundene Erfolgsmeldungen, von den internationalen Medien bereitwillig wiedergegeben, zielten darauf, Panik unter den Bewohnern der angegriffen Städte zu verbreiten und das Gefühl der Aussichtslosigkeit jeglichen Widerstands. U.a. setzte die Kriegsallianz auch Massen-SMS an die Bewohner der angegriffenen Städte ein, die moderne Variante des Flugblattabwurfs aus dem klassischen Arsenal der psychologischen Kriegsführung.
Da NATO-Bomben die staatlichen Radio- und Fernsehsender nahezu außer Betrieb gesetzt hatten, waren die Möglichkeiten der Regierung zu Richtigstellungen begrenzt. Die Wirkung, des durch das Echo in den internationalen Medien vielfach verstärkten psychologischen Krieges dürfte daher erheblich gewesen sein.
Allein der Bluff mit der Falschmeldung über die Gefangennahme der Gaddafi-Söhne, die weltweit verbreitet und vom Internationalen Strafgerichtshof bekräftigt wurde, hätte ihnen einen erheblichen politischen und militärischen Vorteil verschafft, verkündete stolz der Chef des Übergangsrats, Mahmoud Dschibril. Viele Soldaten hätten daraufhin den Kampf aufgegeben. [23] Die Blamage durch das plötzliche Auftauchen von Gaddafi Sohn Saif al Islam vor der internationalen Presse in Tripolis verärgerte jedoch z.B. die New York Times so, dass, sie sich einen Artikel über die „Welle von Desinformationen“, die die Wahrheit überschwemme, erlaubte.[24]
Auch kaum eine der Städte, die von den Aufständischen als erobert gemeldet wurden, ist bisher tatsächlich fest unter Kontrolle der NATO und des Übergangsrates. Auch in Tripolis ist weiterhin unklar, wie viel der Stadt von der Kriegsallianz kontrolliert wird. In mehreren Viertel sahen sich die Invasoren, wie Al Jazeera berichtete, nach dem Eindringen in die Stadt von Regierungstruppen umzingelt. [25]Auch der Blutzoll der Angreifer war eigenen Angaben zufolge immens. Und nachwievor werden aus vielen Stadtteilen heftige Kämpfe gemeldet und gehen NATO-Bomben auf die verbliebenen Verteidiger der Stadt nieder.
Sollte die NATO gehofft haben, dass sich nennenswerte Teile der Tripolitaner den Aufständischen anschließen würde, so sah sie sich gründlich getäuscht. Die Zahl derer die sich auf dem symbolträchtigen „Grünen Platz“ zur voreiligen Siegesfeier versammelten, „blieb moderat im Vergleich mit den Tausenden, die es vorzogen, bewaffnet mit den zuvor an die Einwohner verteilten Handfeuerwaffen an der Seite des Führers des Landes im Regierungsbezirk Bab al-Aziziya auszuharren“, so Russia Today.[26]
Rolando Segura von TeleSur berichtet, dass die Bürger der Stadt sich in den, von der Kriegsallianz eroberten Vierten völlig in ihre Häuser zurückgezogen und die Türen verrammelt hätten, um nicht bei den einsetzenden Massenarresten als Gaddafi-Anhänger in die Hände der Rebellen zu fallen. Diese tobten, wie so oft, vor allem ihren rassistischen Hass auf Schwarzafrikaner aus. In einem Feldlazarett waren allein über 30 Leichen von exekutierten Afrikanern gefunden worden.[27]
Neues NATO-Protektorat
Russland, China, die lateinamerikanischen Staaten und die 54 Staaten der Afrikanischen Union, die die NATO-Offensive als klaren Verstoß gegen die UN-Resolution verurteilen, weigern sich daher noch, den nationalen Übergangsrat der Rebellen anzuerkennen. Die AU verweist erneut auf die große Zahl von Opfern, die alle vermieden werden können, hätte man ihre Initiative zur Beilegung des Konflikts nicht sabotiert und fordert statt einer Aufwertung des Übergangsrats die Bildung einer Übergangsregierung, die auch Gaddafi-treue Kräfte einbindet.[28]
Doch auch wenn die Kriegsallianz vorerst die Oberhand über den größten Teil des Landes erringt, so ist der Krieg keineswegs zu Ende. Die Mehrheit im Westen des Landes wird sich nicht einfach der NATO oder den aufständischen Kräften aus dem Osten unterordnen, die für die NATO-Bomben und die Zerstörungen verantwortlich sind und deren Programm auf die Abschaffungen vieler Errungenschaften der libyschen Dschamahirija zielt. So wird die im Verfassungsentwurf aus Bengasi enthaltene Einführung der Scharia, als Basis jeden Rechts, das Ende der bisherigen rechtlichen Gleichstellung libyscher Frauen bedeuten. Nicht umsonst zählen Frauen zu den aktivsten Verteidigerinnen des bisherigen Gesellschaftssystem. „Feministinnen zählen zu Gaddafis größten Fans“ musste denn auch Associated Press im Juni feststellen. [29]
Der Widerstand wird daher, wie im Irak, in anderer Form weitergehen. Die Anti-Gaddafi-Koalition wird den Sturz des gemeinsamen Feindes hingegen nicht lange überdauern. In mehreren Städten im Osten haben die örtlichen Rebellen verkündet, den Übergangsrat keinesfalls als Vertretung anzuerkennen. Auch einige der Rebellen-Milizen, die nach Tripolis eindrangen, lehnen, so Xinhua, diesen ab. Manche begannen sogar Checkpoints einzurichten und andere Rebellen zu entwaffnen.[30] Angesichts dessen sehen auch viele westliche Experten die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkriegs mit vielfältigen Fronten. Wenn sie dabei die durchaus reale Gefahr somalischer Verhältnisse in dem noch stark von Stämmen dominierten Land beschwören, so geschieht dies jedoch nicht uneigennützig:
In den westlichen Hauptstädten werden nicht zuletzt damit die Pläne über den Einsatz einer „UN-Truppe“ nach dem Vorbild der KFOR-Mission im Kosovo begründet. Faktisch wurde die abtrünnige serbische Provinz dadurch nach dem Krieg 1999 zum westlichen Protektorat. Auf diese Weise könnte die NATO auch in Libyen die wenig verlässliche Rebellenführung unter ihre Kontrolle bringen und sicherstellen, dass westliche Konzerne endlich einen befriedigenden Zugriff auf die libyschen Ressourcen erhalten.
Noch halten sich die NATO-Mächte bedeckt, doch die Pläne gehen offensichtlich in Richtung der Entsendung von Besatzungstruppen. Die westlichen Think Tanks bereiten dafür schon den Boden. Beispielsweise betonte Richard Haass vom einflussreichen Council on Foreign Relations sofort nach dem Einmarsch in Tripolis erneut, Libyen benötige nun „Boots on the ground.“ [31]
Vermutlich war dies von Anfang Teil der Kriegsplanung. Zumindest deutete dies der NATO Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis am 29.3. bei einer Senatsanhörung recht deutlich an. „Wenn man sich die Geschichte der NATO ansehe, … mit Bosnien und Kosovo, so ist es ziemlich klar, dass die Möglichkeit [der Notwendigkeit] eines Stabilisierungsregimes existiert.“ Er habe noch keine Diskussion darüber gehört, sei aber überzeugt, dass dies jeder im Kopf habe, wenn er nach Libyen sehe.[32]
Anlässlich der aktuellen Beratungen innerhalb der NATO wurde AP gegenüber nur versichert, dass es keine „längere“ Präsenz von NATO-Truppen geben werde.[33] Da die Mehrheit der NATO-Staaten nicht sonderlich glücklich über den Einstieg in den Luftkrieg war, so AP, wäre die Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen gering.
Anderseits bereitete die EU schon im April den Einsatz größere Kontingente von EU-Truppen vor, mit dem angeblichen Ziel, die Verteilung von Hilfslieferungen abzusichern. Die zuständigen UN-Hilfsorganisationen verweigerten jedoch den dafür notwendigen Hilferuf. Diese Truppen stehen wohl nach wie vor bereit. „Hunderte britische Soldaten“ könnten sofort als „Friedenssicherer“ nach Libyen entsandt werden, falls das Land in Chaos zu fallen drohe vermeldete jedenfalls die britische Regierung letzten Dienstag. Das UN-Mandat verbiete zwar Besatzungstruppen, erlaube aber den temporären Einsatz zu „humanitären Zwecken“.[34]
Vermutlich wird das reichlich überstrapazierte UN-Mandat jedoch bald ad acta gelegt. Eine wesentlich freiere Hand würde ein Hilfeersuchen der von der Kriegsallianz etablierten Gegenregierung bieten. Gemäß NATO-Sprecherin Oana Lungescu wird die Option, Truppen unter UN-Mandat einzusetzen, das auf der Petition des Übergangsrats beruht, von der NATO bereits erörtert. Dieser beeilte sich sehr, seinen offiziellen Sitz nach Tripolis zu verlegen, um sich so wesentlich glaubwürdiger als bisher, als neue Regierung zu präsentieren.[35]
Auch wenn Politiker und Strategen der NATO immer eifriger versichern, man werde die im Irak gemachten Fehler vermeiden, so würde Libyen durch die Nato-Besatzung exakt in die Spuren des Zweistromlandes gleiten. Sicherlich machten die Besatzer im Irak zahlreiche taktische Fehler, doch waren es letztlich die wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele der Erober, die das Land unweigerlich in die Katastrophe führten. In Libyen verfolgen sie im Wesentlichen die gleichen Ziele mit einem ähnlichen Spektrum lokaler Verbündeter.
Hugo Chavez übertreibt daher nicht, wenn er angesichts der Berichte über eine bevorstehenden Invasion von Nato-Truppen befürchtet, dass die „Tragödie in Libyen erst begann.“ [36]
In der Tat schien der Krieg sich zunehmend zu Ungunsten der NATO zu entwickeln. Verteidigungsminister Gérard Longuet sprach im französischen Fernsehen sogar schon von einem Scheitern der militärischen Operation.[2] Auch sein britischer Kollege bezweifelte offen, dass die Rebellen aus eigener Kraft die Hauptstadt einnehmen könnten. Sie setzten seit langem vorwiegend darauf, durch das Aushungern und das Dauerbombardement die Bewohner Tripolis zum Aufstand zu bewegen[3] oder einen „Palast-Coup“ gegen Gaddafi zu erreichen. (siehe hierzu meinen vor der Offensive fertiggestellten Artikel in Hintergrund 3/2011)
Als im Juli mehrfach Hunderttausende in Großdemonstrationen gegen die NATO und ihre lokalen Verbündeten demonstrierten, begruben sie offensichtlich diese Hoffnung und schalteten auf Plan B um, d.h. sie beschlossen die Sache nun auch am Boden selbst in die Hand zu nehmen und einen eigenen „Aufstand in Tripolis“ zu inszenieren.
Mit dem Beginn des islamischen Fastenmonats begann die Kriegsallianz eine für alle Beobachter überraschende Offensive. Innerhalb weniger Tage gelang Rebellenmilizen und aufständischen Stammeskämpfer das Vordringen in strategisch wichtige Städte rund um die Hauptstadt. Die Versorgungslinien nach Tripolis, wo die Versorgungslage ohnehin schon dramatisch schlecht war, wurden weitgehend unterbrochen. Überraschend schnell gelang es schließlich den Aufständischen am 21. August in Tripolis einzudringen.
Auschlaggebend für diese Erfolge war jedoch nicht ein plötzliches Erstarken der Rebellen, sondern die Intensivierung und Ausweitung des NATO-Krieges. Die acht kriegführenden NATO-Mächte verstärkten ihre Luftangriffe und konzentrierten sie auf die Vormarschroute der Rebellenverbände. Sukzessive bombten sie diesen so den Weg frei – sie „weichten“ die Angriffsziele für die Rebellen „auf“, wie es Derek Flood vom US-Think Tank Jamestown Foundation bezeichnet.[4] Ein solches „Aufweichen“ durch flächendeckende Bombardierung kostete allein in dem Dorf Majer, nahe der umkämpften Stadt Sliten über 80 Männer, Frauen und das Leben. [5]
Beim Vorrücken in die Städte griffen dann Kampfhubschrauber mit ihrer ungeheuren Feuerkraft direkt in die Bodenkämpfe ein. (Deren Einsätze werden i.d.R. nicht als Luftwaffeneinsätze gezählt, sind also in der Zahl von bis dato 20.000 Einsätzen und 7.500 Luftangriffen nicht enthalten.( Stop NATO, Updates on Libyan war, August 22,2011)
Wie schon in den fünf Monaten zuvor, bestand die Hauptaufgabe der Rebellenmilizen darin, durch ihr Vorrücken die Verteidiger zu einer Reaktion zu zwingen. Sobald diese begannen, sich den Angreifern entgegenzustellen, wurden sie von Kampfjets und Hubschrauber unter Feuer genommen. Man wird wohl nie erfahren, wie viel tausend, praktisch wehrlose Verteidiger der libyschen Souveränität dabei massakriert wurden – viele als sie bereits auf dem Rückzug waren. So versenkten NATO-Jets mehrfach Boote, auf denen libysche Soldaten aus unhaltbar gewordenen Stellungen zu entkommen suchten.[6] Dass regierungstreue Kräfte trotzdem fünf Monate lang die Verteidigungslinien halten konnten, zeugt von bemerkenswertem Mut und Entschlossenheit weiter Teile der Bevölkerung, das bisherige Gesellschaftsystem zu verteidigen. Sie wussten sehr gut, was für das Land auf dem Spiel steht.
Eine Gruppe Reporter der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua konnten sich von Tunesien bis Tripolis durchschlagen und dabei die jüngsten Zerstörungen besichtigten. Von Zawiya, einer der lang umkämpften, strategisch wichtigen Städte nahe Tripolis, war demnach nicht viel übrig geblieben. Alle Gebäude entlang der Straße waren zerbombt und ausgebrannt, die Mauern übersät mit Einschusslöchern. Eine ganze Reihe von Gebäudekomplexen war völlig dem Erdboden gleichgemacht. Auch in Tripolis sahen sie umfangreiche Verwüstungen durch NATO-Bomben an den Einfallstraßen.[7]
„Boots on the Ground“
Die Angriffe aus der Luft allein hätten die Wende nicht bewirkt. Spezialeinheiten der NATO-Mächte übernahmen auch am Boden die führende Rolle. Der israelische Militärinformationsdienst DebkaFile's berichtete als erster, dass an der Spitze der Sturmangriffe auf Tripolis britische, französische, jordanische und katarische Elitetruppen standen. Großbritannien setzte demnach Kommandos des Special Air Service (SAS) ein, Frankreich „2REP“-Fallschirmjäger-Einheiten und Jordanien die „Königlichen Spezialkräfte“, die auf Straßenkämpfe und Angriffe auf befestigte Stellungen, wie Gaddafis Militär-Komplex spezialisiert seien. Angaben von DebkaFile sind aufgrund seiner Nähe zu israelischen Geheimdiensten mit Vorschicht zu genießen, sie wurden jedoch bald von der US Nachrichtenagentur AP und britischen Zeitungen und der New York Times[8] bestätigt.
DebkaFile hat zudem den Überraschungsangriff schon Anfang Juli vorhergesagt. Die NATO-Mächte wären dabei, ihre Planungen für eine großangelegte, umfassende Militäroffensive zum Sturz Gaddafis abzuschließen. Diese würde in einigen Wochen beginnen, angeführt von französischen und britischen Truppen, denen US-amerikanische nachfolgen würden.[9]
Das deckt sich durchaus mit den Erkenntnissen von AP, die am 23.8. meldete, es sei „ein offenes Geheimnis“, dass ab dem Moment, „als in den Kämpfen in Libyen ein Patt drohte, die Rebellen von verdeckt im Lande operierenden ausländischen Militärberatern angeleitet wurden.“ Diese „wiesen auch die NATO-Flugzeuge ein, die Regierungstruppen bombardierten“.
Diplomaten geben zu, dass NATO-Staaten und Partnerländer aus dem Mittleren Osten an den Geheimoperationen auf libyschem Boden beteiligt waren. Diese Operationen waren nicht in die NATO-Befehlsstruktur eingebunden, um Verstöße gegen das UN-Mandat zu vermeiden [...]Die CIA und andere US-Geheimdienste haben schon vor Beginn und während des Krieges, so AP weiter, Informationen mit Hilfe von Kontaktpersonen gesammelt, die sie angeworben hatten, als sie mit der Gaddafi-Regierung bei der Bekämpfung Al-Qaida-naher, islamistischer Gruppen in Libyen zusammenarbeiteten.
Diese weitgehend im Verborgenen agierenden (ausländischen) Unterstützer halfen, die zusammengewürfelte Rebellen-Armee in eine Streitmacht umzuwandeln, die in der Lage war, Tripolis zu erstürmen. [10]
Der Einsatz ihrer „Instrukteure“ zielte nicht nur auf die Erhöhung der Schlagkraft, sondern wie US-Offizielle andeuten, auch der politischen Kontrolle. Die plötzliche „Verbesserung der Operationsfähigkeit“ und „Koordination der Kampftätigkeit“ der Rebellen-Milizen ließe sich nach Ansicht von Militärexperten ohne Beteiligung ausländischer Bodentruppen auch gar nicht erklären.
Mit dem zunehmendem Einsatz von bewaffneten US-Predator- Kampfdrohnen sei der Weg für die vorrückenden Rebellen freigeräumt worden. Die Killer-Drohnen konnten auch in Stadtnähe „Präzisionsschläge“ durchführen und so den Rebellen einen raschen Vormarsch durch Zawiya auf Tripolis ermöglichen. Im AP-Bericht heißt es weiter:
Unterstützt durch immer präzisere NATO-Luftangriffe, konnten die Rebellen die Gaddafi-Truppen allmählich zurückdrängen und deren Nachschubrouten blockieren; gleichzeitig floss der Opposition immer mehr Geld und Nachschub zu.Der britische Guardian berichtete von der Beteiligung „einer Anzahl“ aktiver Mitglieder britischer Spezialkräfte als auch von ehemaligen Soldaten des SAS, die schon lange als Söldner im Land sind. Auch Elitetruppen aus Frankreich, Katar und Jordanien seien wohl mit von der Partie.[11] Der Telegraph nennt bzgl. britischer Eliteeinheiten noch weitere Details. Unter dem Schlagzeile „SAS führt die Jagd nach Gaddafi an“ meldet er, Quellen des Verteidigungsministeriums hätten nun bestätigt, dass Einheiten des 22. SAS-Regiment seit „mehreren Wochen“ in Libyen im Einsatz sind und eine „Schlüsselrolle“ beim „Fall von Tripolis“ gespielt hätten. Nachdem der größte Teil der Hauptstadt in den Händen der Rebellen sei, hätten die SAS-Truppen, die in arabischer Zivilkleidung und mit den selben Waffen wie die Rebellen operieren, nun den Auftrag Gaddafi zu finden.[12]
Die NATO-Bombenangriffe, die Durchsetzung der Flugverbotszone, das Waffenembargo [nur für die libysche Armee] und die vor der Küste patrouillierenden [NATO-]Kriegsschiffe verschafften den Rebellen genügend Luft, damit sie sich mit Waffen und Munition versorgen konnten.
Voll patriotischem Stolz hatte der Telegraph zwei Tage zuvor schon die geheime, führende britische Rolle bei dem Sturm auf Tripolis gepriesen. MI6-Agenten hätten die Pläne mit der Rebellenführung in Bengasi ausgearbeitet, 1000 Kampfausrüstungs-Sets mit Telekommunikationsgeräte, schusssicheren Westen und Nachtsichtgeräten seien verteilt worden. Britische Tornado-Jets hätten schließlich den „Aufstand“ durch die Ausschaltung von zentralen Kommunikationseinrichtungen und Verteidigungsstellungen der Hauptstadt eingeleitet.[13]
Im Grunde, so Cahal Milmo und Kim Sengupta vom Independent, ist bereits seit sechs Monaten eine stille, von London gesponserte Bodenoffensive im Gange, an der eine Armee von Diplomaten, Spionen, Militärinstrukteure und ehemaligen Mitgliedern von Spezialeinheiten beteiligt ist. Schon früh sei man zur Auffassung gelangt, so ein britischer Diplomat, dass man Gaddafi nur besiegen könne, wenn man neben dem Luftkrieg auch „praktische Maßnahmen am Boden“ ergreife. Es gehe „nicht um Legionen von SAS-Leuten“, sondern darum „Erfahrung zu vermitteln“ und „Anderen“ ermöglichen, „hilfreich“ zu sein.
Mit den “Anderen” sind Gruppen ehemaliger Elitesoldaten gemeint, die nun im Dienst privater Sicherheits- bzw. Militärdienste stehen, die – so Milmo und Sengupta – regelmäßig an der Spitze, der sich Richtung Tripoli durchkämpfenden Rebellen gesehen wurden. Nach „Frustration bis hin zu Verachtung über den Mob-Charakter eines Großteils der Rebellenarmee“ haben die Briten und ihre Alliierten den Übergangsrat angewiesen, mit Geldern der Kriegsallianz ehemalige britische Soldaten als Söldner einzukaufen. [14]
Während der französische Außenminister Alain Juppe die Beteiligung von französischen „Instrukteuren“ grundsätzlich bestätigte, bestreitet die britische Regierung dies offiziell immer noch. Dabei hatte Al-Jazeera schon im Mai Bilder europäischer Soldaten in Libyen gezeigt und hatten britische Zeitungen berichtet, dass vom aktiven Dienst freigestellte britische Elitesoldaten über private Söldnerfirmen in Libyen eingesetzt würden.[15]Der britische Daily Mirror veröffentlichte im Juni Bilder, die SAS-Soldaten und britische Fallschirmjäger in Mitten libyscher Rebellen zeigen.[16]
Schließlich gab nun ein Sprecher des Weißen Hauses bekannt, dass auch CIA-Agenten an den Operationen beteiligt sind und nun bei der, zu Hause so populären Jagd auf Gaddafi dabei sind.[17]
Der russische General und Experte für internationale Sicherheit Gennady Yevstafyev vermutet noch einen weiteren Grund hinter den plötzlichen Fortschritten der Kriegsallianz:
Die USA, die westlichen Ländern operieren nicht nur mit militärischer Macht, sondern vielmehr indem sie zentrale Personen des Regimes gegen das sie Krieg führen kaufen. ...
Ich bin überzeugt, dass in diesem speziellen Fall ungeheure Geldsummen in die Operationen der letzten Wochen gesteckt wurden, durch die es ihnen gelang , äußerst wichtige Leute aus Gaddafis Militärführung zu kaufen.[17a]
Inszenierter Aufstand
Auch aus Libyern zusammengesetzte Spezialkräfte, die in den letzten Monaten von der NATO aufgebaut und trainiert wurden, dürften zu den Erfolgen beigetragen haben. Nachdem der Aufstand in Tripolis ausblieb, wurde eine größere Zahl von ihnen, zusammen mit erheblichen Mengen an Waffen und Ausrüstung sukzessive nach Tripolis geschmuggelt, wo sie bewaffnete „Schläferzellen“ bildeten.[18] (Die hohe Zahl von „15.000 Kämpfer im Untergrund“, die die Rebellenführung der FAZ verraten hat, darf man allerdings getrost unter der üblichen Propaganda abheften. [19])
Diese erhielten ihr Signal zum Losschlagen nach Aussagen eines Sprechers des Übergangsrates über Libya TV, einen in Katar stationierten Satelliten-Sender der Rebellen.[20]
Diese Elitetrupps stürmten darauf hin u.a. die Ben Nabi Moschee im Zentrum von Tripolis und kündigten über Lautsprecher die Übernahme der Stadt an. Indem sie koordiniert an wichtigen Stellen zuschlugen, konnten sie rasch den Eindruck vermitteln, die Hauptstadt wäre in kurzer Zeit in die Hände der Rebellen gefallen.
Von einem „Aufstand“ in Tripolis kann demnach nicht gesprochen worden, es war eine erfolgreiche Überrumpelung des Gegner, die durch die überlegenen Mittel der Angreifer die Schwächung der Verteidiger durch fünfmonatige Bombardierung ermöglicht wurde. Im Kern handelt es sich um nichts anders, als um eine, von Eingeborentruppen unterstützte Bodenoffensive der NATO.
„Imperialer Wahnsinn“
Pepe Escobar faßte das Szenario unter dem Titel „Willkommen in Libyens »Demokratie«“ treffend zusammen:
„[Operation] ‚Siren‘ stellte ein farbenfrohes Casting dar, mit ‚NATO-Rebellen‘, islamistischen Fanatikern, leichtgläubigen, eingebetteten Journalisten, TV-freundlichen Mobs und Cyrenaika-Jugendliche, die von opportunistischen, nach fetten Schecks der Ölgiganten Total und BP gierenden Abtrünnigen des Gaddafi-Regimes manipulierte werden, in den Hauptrollen.Allein auf das Regierungszentrum „Bab Al-Asisija“ wurden vor der Eroberung über 60 Bomben abgeworfen. Getötet wurden dabei vermutlich auch zahlreiche Zivilisten, die in Zelten vor dem Komplex campierten, um die NATO von dessen Bombardierung abzuhalten. Venezolanischen Medien zufolge wurden allein in Tripolis in diesen Tagen über 2.000 Menschen durch NATO-Bomben getötet.
Mit ‚Siren‘ kam die NATO (buchstäblich) aus allen Rohren feuernd aus der Deckung: Apache-Kampfhubschrauber feuerten nonstop und Jets bombten alles was in Sicht kam. Die NATO überwachte die Landung Hunderter Truppen aus Misurata an der Küste östlich von Tripoli während ein NATO-Kriegsschiff schwere Waffen verteilte.[21]
Die NATO und ihre Verbündeten „sind dabei das Land vor den Augen der Welt zu zerstören und in Stücke zu hacken“ so Hugo Chavez am Mittwoch. „Sie haben das Land auseinander gerissen und es war nicht Gaddafi der dies tat. Sie haben das Land in Flammen gesetzt und es war nicht Gaddafi der dies tat – nein es war der imperiale Wahnsinn und die globale kapitalistische Krise die es tat.“ [22]
Propaganda-Krieg
Eine Hauptfront beim Angriff war offensichtlich die Propagandafront. Völlig übertriebene oder erfundene Erfolgsmeldungen, von den internationalen Medien bereitwillig wiedergegeben, zielten darauf, Panik unter den Bewohnern der angegriffen Städte zu verbreiten und das Gefühl der Aussichtslosigkeit jeglichen Widerstands. U.a. setzte die Kriegsallianz auch Massen-SMS an die Bewohner der angegriffenen Städte ein, die moderne Variante des Flugblattabwurfs aus dem klassischen Arsenal der psychologischen Kriegsführung.
Da NATO-Bomben die staatlichen Radio- und Fernsehsender nahezu außer Betrieb gesetzt hatten, waren die Möglichkeiten der Regierung zu Richtigstellungen begrenzt. Die Wirkung, des durch das Echo in den internationalen Medien vielfach verstärkten psychologischen Krieges dürfte daher erheblich gewesen sein.
Allein der Bluff mit der Falschmeldung über die Gefangennahme der Gaddafi-Söhne, die weltweit verbreitet und vom Internationalen Strafgerichtshof bekräftigt wurde, hätte ihnen einen erheblichen politischen und militärischen Vorteil verschafft, verkündete stolz der Chef des Übergangsrats, Mahmoud Dschibril. Viele Soldaten hätten daraufhin den Kampf aufgegeben. [23] Die Blamage durch das plötzliche Auftauchen von Gaddafi Sohn Saif al Islam vor der internationalen Presse in Tripolis verärgerte jedoch z.B. die New York Times so, dass, sie sich einen Artikel über die „Welle von Desinformationen“, die die Wahrheit überschwemme, erlaubte.[24]
Auch kaum eine der Städte, die von den Aufständischen als erobert gemeldet wurden, ist bisher tatsächlich fest unter Kontrolle der NATO und des Übergangsrates. Auch in Tripolis ist weiterhin unklar, wie viel der Stadt von der Kriegsallianz kontrolliert wird. In mehreren Viertel sahen sich die Invasoren, wie Al Jazeera berichtete, nach dem Eindringen in die Stadt von Regierungstruppen umzingelt. [25]Auch der Blutzoll der Angreifer war eigenen Angaben zufolge immens. Und nachwievor werden aus vielen Stadtteilen heftige Kämpfe gemeldet und gehen NATO-Bomben auf die verbliebenen Verteidiger der Stadt nieder.
Sollte die NATO gehofft haben, dass sich nennenswerte Teile der Tripolitaner den Aufständischen anschließen würde, so sah sie sich gründlich getäuscht. Die Zahl derer die sich auf dem symbolträchtigen „Grünen Platz“ zur voreiligen Siegesfeier versammelten, „blieb moderat im Vergleich mit den Tausenden, die es vorzogen, bewaffnet mit den zuvor an die Einwohner verteilten Handfeuerwaffen an der Seite des Führers des Landes im Regierungsbezirk Bab al-Aziziya auszuharren“, so Russia Today.[26]
Rolando Segura von TeleSur berichtet, dass die Bürger der Stadt sich in den, von der Kriegsallianz eroberten Vierten völlig in ihre Häuser zurückgezogen und die Türen verrammelt hätten, um nicht bei den einsetzenden Massenarresten als Gaddafi-Anhänger in die Hände der Rebellen zu fallen. Diese tobten, wie so oft, vor allem ihren rassistischen Hass auf Schwarzafrikaner aus. In einem Feldlazarett waren allein über 30 Leichen von exekutierten Afrikanern gefunden worden.[27]
Neues NATO-Protektorat
Russland, China, die lateinamerikanischen Staaten und die 54 Staaten der Afrikanischen Union, die die NATO-Offensive als klaren Verstoß gegen die UN-Resolution verurteilen, weigern sich daher noch, den nationalen Übergangsrat der Rebellen anzuerkennen. Die AU verweist erneut auf die große Zahl von Opfern, die alle vermieden werden können, hätte man ihre Initiative zur Beilegung des Konflikts nicht sabotiert und fordert statt einer Aufwertung des Übergangsrats die Bildung einer Übergangsregierung, die auch Gaddafi-treue Kräfte einbindet.[28]
Doch auch wenn die Kriegsallianz vorerst die Oberhand über den größten Teil des Landes erringt, so ist der Krieg keineswegs zu Ende. Die Mehrheit im Westen des Landes wird sich nicht einfach der NATO oder den aufständischen Kräften aus dem Osten unterordnen, die für die NATO-Bomben und die Zerstörungen verantwortlich sind und deren Programm auf die Abschaffungen vieler Errungenschaften der libyschen Dschamahirija zielt. So wird die im Verfassungsentwurf aus Bengasi enthaltene Einführung der Scharia, als Basis jeden Rechts, das Ende der bisherigen rechtlichen Gleichstellung libyscher Frauen bedeuten. Nicht umsonst zählen Frauen zu den aktivsten Verteidigerinnen des bisherigen Gesellschaftssystem. „Feministinnen zählen zu Gaddafis größten Fans“ musste denn auch Associated Press im Juni feststellen. [29]
Der Widerstand wird daher, wie im Irak, in anderer Form weitergehen. Die Anti-Gaddafi-Koalition wird den Sturz des gemeinsamen Feindes hingegen nicht lange überdauern. In mehreren Städten im Osten haben die örtlichen Rebellen verkündet, den Übergangsrat keinesfalls als Vertretung anzuerkennen. Auch einige der Rebellen-Milizen, die nach Tripolis eindrangen, lehnen, so Xinhua, diesen ab. Manche begannen sogar Checkpoints einzurichten und andere Rebellen zu entwaffnen.[30] Angesichts dessen sehen auch viele westliche Experten die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkriegs mit vielfältigen Fronten. Wenn sie dabei die durchaus reale Gefahr somalischer Verhältnisse in dem noch stark von Stämmen dominierten Land beschwören, so geschieht dies jedoch nicht uneigennützig:
In den westlichen Hauptstädten werden nicht zuletzt damit die Pläne über den Einsatz einer „UN-Truppe“ nach dem Vorbild der KFOR-Mission im Kosovo begründet. Faktisch wurde die abtrünnige serbische Provinz dadurch nach dem Krieg 1999 zum westlichen Protektorat. Auf diese Weise könnte die NATO auch in Libyen die wenig verlässliche Rebellenführung unter ihre Kontrolle bringen und sicherstellen, dass westliche Konzerne endlich einen befriedigenden Zugriff auf die libyschen Ressourcen erhalten.
Noch halten sich die NATO-Mächte bedeckt, doch die Pläne gehen offensichtlich in Richtung der Entsendung von Besatzungstruppen. Die westlichen Think Tanks bereiten dafür schon den Boden. Beispielsweise betonte Richard Haass vom einflussreichen Council on Foreign Relations sofort nach dem Einmarsch in Tripolis erneut, Libyen benötige nun „Boots on the ground.“ [31]
Vermutlich war dies von Anfang Teil der Kriegsplanung. Zumindest deutete dies der NATO Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis am 29.3. bei einer Senatsanhörung recht deutlich an. „Wenn man sich die Geschichte der NATO ansehe, … mit Bosnien und Kosovo, so ist es ziemlich klar, dass die Möglichkeit [der Notwendigkeit] eines Stabilisierungsregimes existiert.“ Er habe noch keine Diskussion darüber gehört, sei aber überzeugt, dass dies jeder im Kopf habe, wenn er nach Libyen sehe.[32]
Anlässlich der aktuellen Beratungen innerhalb der NATO wurde AP gegenüber nur versichert, dass es keine „längere“ Präsenz von NATO-Truppen geben werde.[33] Da die Mehrheit der NATO-Staaten nicht sonderlich glücklich über den Einstieg in den Luftkrieg war, so AP, wäre die Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen gering.
Anderseits bereitete die EU schon im April den Einsatz größere Kontingente von EU-Truppen vor, mit dem angeblichen Ziel, die Verteilung von Hilfslieferungen abzusichern. Die zuständigen UN-Hilfsorganisationen verweigerten jedoch den dafür notwendigen Hilferuf. Diese Truppen stehen wohl nach wie vor bereit. „Hunderte britische Soldaten“ könnten sofort als „Friedenssicherer“ nach Libyen entsandt werden, falls das Land in Chaos zu fallen drohe vermeldete jedenfalls die britische Regierung letzten Dienstag. Das UN-Mandat verbiete zwar Besatzungstruppen, erlaube aber den temporären Einsatz zu „humanitären Zwecken“.[34]
Vermutlich wird das reichlich überstrapazierte UN-Mandat jedoch bald ad acta gelegt. Eine wesentlich freiere Hand würde ein Hilfeersuchen der von der Kriegsallianz etablierten Gegenregierung bieten. Gemäß NATO-Sprecherin Oana Lungescu wird die Option, Truppen unter UN-Mandat einzusetzen, das auf der Petition des Übergangsrats beruht, von der NATO bereits erörtert. Dieser beeilte sich sehr, seinen offiziellen Sitz nach Tripolis zu verlegen, um sich so wesentlich glaubwürdiger als bisher, als neue Regierung zu präsentieren.[35]
Auch wenn Politiker und Strategen der NATO immer eifriger versichern, man werde die im Irak gemachten Fehler vermeiden, so würde Libyen durch die Nato-Besatzung exakt in die Spuren des Zweistromlandes gleiten. Sicherlich machten die Besatzer im Irak zahlreiche taktische Fehler, doch waren es letztlich die wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele der Erober, die das Land unweigerlich in die Katastrophe führten. In Libyen verfolgen sie im Wesentlichen die gleichen Ziele mit einem ähnlichen Spektrum lokaler Verbündeter.
Hugo Chavez übertreibt daher nicht, wenn er angesichts der Berichte über eine bevorstehenden Invasion von Nato-Truppen befürchtet, dass die „Tragödie in Libyen erst begann.“ [36]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen